Er war ein netter
Mensch, denke ich, während ich mir ein Brot schmiere. Es ist frisch, riecht
nach gerade aus dem Ofen gekommen. Den Bäcker kennen wir schon ewig, er backte
uns schon das Brot, als ich noch gar nicht da war. Er macht immer Körner rein,
viele verschiedene Sorten, und niemand kauft ein anderes als das hier.
Mittlerweile backt er glaube ich nur noch das. Ich schnuppere an der mit Butter
bestrichenen Brotscheibe und muss erneut denken: Er war ein netter Mensch.
„Was machst du denn da“,
herrscht mich mein Vater an. Er sitzt am Küchentisch und wartet auf sein Brot.
Auf dem Tisch steht ein Topf mit Frankfurtern und ein Glas polnischen Senfs.
Meine Mutter sitzt meinem Vater stumm gegenüber und starrt auf die Tischplatte.
Ich wende mich ab
und streiche Erdbeermarmelade auf das Brot. Der Saft sichert in die Scheibe
ein, wird aufgesogen. Es sieht aus wie Blut, das in ein Bettlaken sickert.
Helles, pinkes Blut.
Ich habe noch nie
Blut gesehen, nicht richtig. Nur aus kleinen Schürfwunden. Ich bin erst zwölf
und bisher wohlbehütet aufgewachsen.
Ich hätte ihn gern
näher kennengelernt, beginnen meine Gedanken sich erneut um das einzige
Thema zu drehen, das sie im Moment denken können. So ein netter Mensch.
Ich lege meinem
Vater das Brot auf den Teller und setze mich. Meine Mutter und ich haben
Brotscheiben nur mit Butter. Ich kenne niemand anderen, der Frankfurter mit
Erdbeermarmeladenbrot isst außer meinen Vater. Er beißt herzhaft in das
Blutbrot und ich wende mich meinem Teller zu. Die Brotscheibe liegt da, einsam
und allein, ohne Blut. Sie sieht lecker aus, doch ich habe keinen Hunger.
Ich werfe einen
verstohlenen Blick auf meine Mutter. Sie scheint es zu bemerken, denn ihr
starrer Blick auf die Tischplatte wirkt plötzlich gezwungen. Eilige wende ich
mich wieder meinem Unschuldsbrot zu, rupfe Stückchen heraus und ordne sie neben
der Scheibe in einem Kreis an. Blutbrot, Unschuldsbrot. Vielleicht war es ja
Hassbrot und Liebesbrot. Meine Mutter hatte auch ein Liebesbrot. Sie liebte
ihren Bruder, und ich liebte ihn auch. Fand ihn zumindest sehr nett. So ein netter Mensch.
Mein Vater mochte
ihn nicht. Hasste ihn. Ich glaube, er ist sehr froh, dass er jetzt weg ist und
er meine Mutter mehr für sich hat. Sie hat schon versprochen, aus dem Kirchenbeistand
auszutreten. Sie liebte ihren Bruder, und sie liebte ihre Arbeit in der Kirche.
Alles weg. Kein Wunder, dass sie so traurig war.
Ich bin auch
traurig. Es ist der erste Todesfall in meiner Familie, und heute Morgen war es
auch meine erste Beerdigung.
„Nun esst doch
endlich, das ist ja grauenvoll mit euch.“
Ich starre auf meinen weißen Unschuldsteller mit meinem
butterbestrichenen Unschuldsbrot. Ich muss meinen Vater nicht ansehen, um zu
wissen, wie er aussieht. Vor Zorn über unsere seiner Meinung nach unberechtigte
Trauer ist er ganz rot im Gesicht. Sicher hat er noch ein wenig Hassbrotblut an
seinem Mundwinkel kleben.
Kindlicher Zorn
wallt in mir auf. Ich spüre, dass er kindisch ist, doch ich bin noch ein Kind
ich darf das. „Lass uns trauern, Papa“, sage ich mit unterdrückter Wut.
Plötzlich merke ich, wie wütend ich
bin. So fühlte ich mich noch nie.
Mein Vater lachte
höhnisch. „Um diesen Waschlappen von Schwager? Niemals.“
„Er war ein
bekannter Autor“, wagte ich zu widersprechen. Das war Onkel Friedrich
tatsächlich gewesen. Sehr gläubiger Pfarrer der örtlichen Kirche und ein recht
bekannter Autor. Er schrieb kirchliche Texte für Zeitschriften und hatte ein
Buch über den Glauben im einundzwanzigsten Jahrhundert geschrieben.
Der spöttische Ton
wurde beibehalten, und diesmal blickte ich ihn an. Mein Vater hatte die Hände
gefaltet und in die Höhe gehoben. „Im
Angesicht des Todes sind wir alle gleich, sagte er das nicht immer? Nun,
sein Erfolgt wird ihn nicht vor dem Fegefeuer beschützen.“
Ich wusste, dass das Zitat aus irgendeinem
Horrorfilm stammte, den ich noch nicht sehen durfte. Der Satz, den ich kannte,
lautete: Im Angesicht Gottes sind wir
alle gleich. Vielleicht ist es auch dasselbe.
Meine Mutter erhebt
sich, zeigt stumm ihre Ablehnung gegen die Worte meines Vaters. „Ich werde
wieder in die Kirche eintreten“, sagt sie und flieht ins Wohnzimmer.
Ich folge ihr.
Ich spüre, dass mein
Vater wieder rot ist. Wütend.
Mein Unschuldsbrot
liegt unberührt auf dem weißen Teller.
©StefanieRoss
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