Montag, 22. Februar 2016

Die unendliche Geschichte von Joséphine und Johannes: Teil 3 - Die Erlösung




„Johannes, oh Johannes!“, klagte Joséphine. „Wie konnte er das tun, Johnny? Wie konnte er nur!“ Und dann: „Sie haben ihn entführt, oh nein, was tun sie jetzt nur mit ihm? Wir müssen ihn befreien!“ Johnny tätschelte nur ihre Schulter, während Steffie mit dem Schatz zurückkehrte.
  „Und da waren es nur noch drei…“
  „Wir müssen Johannes retten!“
  „Nein müssen wir nicht. Er hat uns elendig verraten. Du hättest ihn nie wieder gesehen.“
  Joséphine schniefte. „Doch. Er hätte mich geholt. Er liebt mich schließlich!“
  „Hm.“
  „Was, hm?“
  „Ach nichts. Lasst uns Jamdi holen und dann verstecken wir uns im Wald. Ich wette, der Kerl war hinter dem Schatz her, und bei so was gibt man nicht so schnell auf. Vor allem nicht für einen Jammerlappen wie Johannes.“
  „Beleidige ihn nicht!“
  „Würde mich nicht wunder, wenn er unterwegs aus dem Helikopter geschmissen wird.“
  Joséphine grollte stumm vor sich hin, während sie an der Wand der Schnecke entlangliefen. Mit der Zeit wurden die Büsche ein wenig dicker und voller, und bald sahen sie in der Ferne etwas herumzappeln.
  Steffie strahlte. „Ah, Jamdi, er ist noch da. Ist das nicht wundervoll? Hoffentlich hat er gelernt, sich von Pflanzen zu ernähren und hat nicht sich selbst angeknabbert.“

Dienstag, 16. Februar 2016

Die unendliche Geschichte von Joséphine und Johannes: Teil 2 - Das Grauen




Der Wind wehte leise. Joséphine konnte es hören. Es hörte sich an wie ein gleichmäßiges Rauschen… nein. Es war irgendwie… stoßartig. Wie… Atem? Und ein Gurgeln, ein undefinierbares Gurgeln. Woher kamen diese Geräusche? Gerade eben war es noch so friedlich gewesen, so still, so schwerelos.
  Die Geräusche wurden lauter. Diesmal hörte es sich an wie ein Luftballon, der aufgeblasen wird.
  Regelmäßig, wie Atemzüge. Tshhh… tshhh… tshhh…
  Und das Gurgeln. Wie Wasser am Boden des Luftballons.
  Viel Wasser.
  Wieso waren diese Geräusche da? Es klang so sehr nach Leben. Zu sehr. Und sie war doch schon tot. Sie wollte zurück in die Stille! Wer brauchte schon Leben?
  Marie.
  Marie?
  Wer war Marie?
  Was tat dieser Name in ihrem Kopf, der hätte leer sein müssen?
  Irgendwie berührte dieser Name etwas in ihr. Wie konnte das sein? Sie sollte nichts mehr fühlen! Sie sollte nichts mehr denken! Sie sollte in der beschützenden, friedlichen Leere des Todes schweben.
  Marie.
  Marie…
  Marie!
  Mit einem Ruck setzte Joséphine sich auf. Etwas knallte gegen ihr Gesicht und verschwand dann fluchend wieder. Sie holte tief Luft, öffnete ihre Augen und…
  Feuer!
  Feuer!

Sonntag, 14. Februar 2016


Es ist kalt draußen, der schneidende Winterwind fegt durch die Straßen, wirbelt weggeworfene Zeitungen fort, lässt vereinzelte Schneeflocken einen wilden Tanz aufführen. Auf einer vereisten Bank liegt ein Obdachloser, wickelt sich in seine dünne Jacke, versucht zu schlafen. Doch die Kälte hindert ihn daran, flüstert ihm immer wieder mit eisiger Stimme ins Ohr, lässt seine Glieder ertauben, seine Lippen blau werden. Im nächsten Baum kuscheln sich Wintervögel aneinander, das Fell aufgeplustert, den Schnabel in den Flügeln verborgen. In der schwarzen Dunkelheit werden die Schneeflocken angestrahlt wie glitzernde Sterne.
  Die Sterne waren es, die Kathrin beobachtete. Die Sterne am Himmel, und die Sterne in der Luft. Sie beobachtete den Obdachlosen, dem sie manchmal etwas zu Essen gab, und überlegte, ihm eine Decke zu bringen. Vielleicht. Vermutlich aber nicht.
  Hier in ihrer Wohnung war es warm. Die Heizung lief schon den ganzen Winter lang, und die Luft war verbraucht und trocken. Es war Zeit für den Frühling. Eine Träne rann Kathrin über die Wange. Hinter ihr wartete Chris auf eine Antwort, doch sie beobachtete weiter die Sterne und versuchte, an gar nichts zu denken.
  „Katy.“ Die Stimme war leise, fast drohend. „Du schuldest mir eine Antwort.“

Donnerstag, 11. Februar 2016

Die unendliche Geschichte von Joséphine und Johannes: Teil 1 - Das Wiedersehen




Verbesserungsvorschläge auf den ersten Stapel.
  Lobeshymnen auf den zweiten.
  Einladungen auf den dritten.
  Drohbriefe auf den vierten.
  Hassnachrichten auf den fünf-… ach was, nein, die kommen zu den Drohbriefen.
  Joséphine legte mit gerunzelter Stirn die Finger aneinander, lehnte sich in ihrem Chefsessel zurück und betrachtete die vier Stapel ungeöffneter Briefe auf ihrem Schreibtisch. Ein Außenstehender würde jetzt vermutlich sagen, hm, okay, sie hat die Stapel sortiert, aber woher sollte sie deren Inhalt kennen?
  Doch in diesem Punkt war Joséphine ein Genie für sich. Wie in vielen anderen Punkten zwar auch – beispielsweise wenn es darum ging, die täglichen Geschäftsaufgaben im Kopf auszurechnen oder ein Gefühl für die Bewerber zu entwickelt, die sich für einen bestimmten Job am besten eignen würden –
aber in diesem einen Punkt war sie sogar einzigartig. Drückte ihr jemand einen Brief in die Hand, wusste sie sofort, um welche der fünf Kategorien es sich handelte. Natürlich gab es noch mehr Kategorien, zum Beispiel die vielen Fanbriefe mit frankiertem Rückumschlag, oder die der Menschen, die ihr Ideen für neue Produkte zu verkaufen versuchten, doch am Häufigsten traf Joséphine an ihrem Arbeitsplatz eben auf diese fünf.
  Und sie kam eigentlich damit klar. Verbesserungsvorschläge waren unwichtig, Lobeshymnen waren unwichtig (obwohl… hier musste sich Joséphine eingestehen, dass sie an depressiven Tagen gerne einen dieser Briefe öffnete, die sie heimlich mit heim nahm), Drohbriefe und Hassnachrichten waren ebenfalls unwichtig.
  Und unwichtige Dinge mussten eliminiert werden, handelte es sich hier nun um Menschen, Gegenstände, andersartige Lebewesen… oder Briefe. So lautete Joséphines Devise.
  Also lehnte sie sich grimmig vor und fegte Stapel eins, zwei und vier mit einem lässigen Handstreich von ihrem gigantischen mahagonibraunen Schreibtisch, den sie bei einer Verlosung gewann, an der sie gar nicht teilgenommen hatte, hinein in den Papiermüll.
  Sie begann damit, den verbliebenen Stapel zu beäugen, doch dann driftete ihr Blick zum Mülleimer ab. Sie versicherte sich, dass die Tür zu ihrem Büro in den nächsten zehn Sekunden nicht geöffnet werden würde – eine weitere wundersame Eigenschaft von Joséphine –, griff in den Haufen der Briefe und zog zielsicher zwei Lobesnachrichten heraus, die es ihr schon vorher angetan hatten. Depressive Tage kamen immer allzu unerwartet, und man konnte nie genug Trost zu Hause haben.
  Joséphine steckte die Briefe in ihre hintere Hosentasche und wandte sich diesmal endgültig dem letzten Stapel Briefe auf ihrem Tisch zu.
  „Sehr geehrte Frau Princet, ich freue mich, sie anlässlich ihres Gewinns des großen Weltliteraturpreises zu einer Siegesfeier für einen Abstecher nach Sidney einladen zu dürfen…“ Schon beim ersten Brief runzelte Joséphine die Stirn und knabberte an ihrem Stift, einem Kuli aus Eigenproduktion, wie sie sie täglich zu tausenden an Schulen verschenkte, herum – mehr aus Langeweile als aus Nachdenklichkeit.

Donnerstag, 15. Mai 2014

Zukunft: Schicksal oder freier Wille?


(pessimistischer Essay zum Thema Zukunft)

„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ Dies sagte einst das weltbekannte Physiker-Genie Albert Einstein. Und damit dachte er einen Satz, den heutzutage immer seltener jemand denkt: Einstein sorgte sich um seine Zukunft; beschäftigte sich nicht mit Unwichtigem, Vergangenem, sondern mit der Gegenwart, um durch sorgfältiges, langfristiges Denken seine Zukunft zu beeinflussen. Und wer macht das denn heutzutage noch? Unsere Studenten wollen noch Politiker und Forscher werden, um die Welt für sich und die Menschheit besser zu machen. Doch schon die nächste Generation weist das Gegenteil auf: Nicht umsonst wird sie „Null-Bock-Generation“ genannt. Hier spüren wir den Hauch einer wiederkehrenden Hippie-Ära: Lasst uns chillen und frei sein! Yolo! Es wird gekifft, es wird konsumiert an jeder Ecke: „Live the present moment!“ lautet sogar die Aufforderung dazu. Vergangenes ist unwichtig, doch auch die Zukunft ist einfach nur lame. Wen interessiert die schon? Passt schon alles, wird schon gehen, yolo, ich nehm’s wie’s kommt. Erstmal Spaß haben. Umso größer sind die Bemühungen der Erwachsenenwelt, die neue Generation wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen: Tatkräftig wird die Jugend zum wählen aufgerufen, zur Beteiligung an der Politik und für mehr Interesse an dieser. Denn sie ist es, auf die unsere Zukunft baut; Politik ist unsere Zukunft. Politik ist immer und überall; Politik ist alles. Wie kann es also eine ganze Generation von Menschen geben, die diese Tatsache so völlig ignorieren und mit einem fast schon beiläufigen Wink der Hand beiseitewischen? Die so naiv und engstirnig sind, ihre Zukunft in die Hand des Schicksals zu legen, welchem sie rückhaltlos und aus einer Laune heraus vertrauen, ohne zu wissen, ob es sie auffangen wird, wenn sie fallen? Denn das wird es nicht; das Schicksal hat Besseres zu tun als den Babysitter für freche Kinder zu spielen. Vermutlich hat es einen Fulltime-Job bei der „Schützt-die-Welt-vor-den-Menschen“-Organisation. Denn auch dies ist ein großes Problem: Menschen mit der Denkweise wie der unserer aktuellen Hipster-Ära verwirken nicht nur mit einem gelangweilten Schulterzucken ihr eigenes Leben, und auch nicht nur das ihrer Kinder und Enkelkinder – die noch alle in mickrigen Hartz-IV-Wohnungen enden werden, wenn es so weitergeht –, sondern auch die Zukunft der Welt und der Menschheit an sich. „Kein Bock“ und „Ist mir egal“ tun der Erde nicht gerade gut. Bald wird es von dicken Menschen nur so wimmeln, die mit einem „You only live once“ als ihrem Lebensmotto auf der Zunge täglich drei Mal in eins der Milliarden Fast-Food-Restaurants gehen und sich vollstopfen. Der Drogenkonsum wird zunehmen, und sobald die Aufmerksamkeit der intelligenten Menschen nachlässt und der Wille der Mehrheit erfüllt wird (was trotz allem zu erhoffen ist, da es sich „Demokratie“ nennt), werden auch Drogen erlaubt werden. Der erste Schritt ist doch schon längst getan: Obwohl Zigaretten und Alkohol zu den Drogen gehören, sind sie völlig legal. Nicht nur das: Mittlerweile sinkt die Altersbegrenzung für den Konsum immer weiter. Deutschland dabei einer der Spitzenreiter, ein wunderbares Vorbild: Bier, Wein und Sekt ab 16, und bald werden alle nacheifern. Wie könnte es auch anders sein – Menschen wollen Geld. Sinkt die Altersbeschränkung, gibt es mehr Konsumenten. Mehr Konsum bedeutet eben mehr Geld. Das wiederum bedeutet bessere Wirtschaft, bedeutet besserer Wettbewerb, bedeutet eine einwandfreie und wie geschmiert laufende Marktwirtschaft. Bedeutet: Die Regierung fühlt sich mächtig, ist reich, und alle sind glücklich. Dabei verwirken wir damit nur Schritt für Schritt unsere Zukunft. Schriebe Gott ein Buch über seine erfolgreichste Schaffung, so würde es ein Bestseller werden. Eine Anti-Utopie vom Feinsten, die sogar die weltberühmten „Tribute von Panem“ und die Divergent-Trilogie in den Schatten stellen würde. Menschen lieben Tragödien und Katastrophen; dies offensichtlich auch im wahren Leben. Es muss unglaublich unterhaltsam sein, den Polkappen beim Schmelzen zuzusehen. Oder den Menschen in Afrika beim Verhungern. Oder seinen eigenen Landsleuten beim Sterben in Kriegen, die sie für das Wohl der Allgemeinheit bestreiten. Anders ließe sich das dezente Desinteresse der Menschheit nicht erklären, das wohlgemerkt nicht nur in der Null-Bock-Generation existiert. Ich habe Studenten erwähnt, die Forscher und Politiker werden wollen, um die Welt für sich und die Menschheit besser machen wollen – nun, das stimmt nicht so ganz. Dies ist wohl nur der Eindruck, den die meisten von ihnen Erwecken wollen. Denn eigentlich kümmern sie sich nur um sich selbst, wollen reich und berühmt werden. Sie sind genauso selbstsüchtig wie unsere vorbildliche Regierung, die ja nur ein kleines Bisschen Macht will; und hey, wer spioniert nicht gerne dem Geschäftspartner hinterher? So sieht sie wirklich aus, unsere scheinheilige Welt. Verdorbene Staatsoberhäupter und faule, hirnlose Neuzugänge. Keiner kümmert sich um das, was sein wird und wirklich zählt; nein, die Zeit, in der Menschen noch dachten, ist fast schon vorbei. Wir leben in einer Welt, in der es keinen eigenen Willen gibt, der die Zukunft beeinflussen könnte; dieser wurde protestlos durch Gier, Selbstsucht und Faulheit ersetzt. Samt und sonders wird unser aller Schicksal in seine eigenen Hände gelegt. Auf dass es sich gefälligst um sich selbst kümmere! Irgendwann wird ein Typ mit etwas mehr Funken Verstand auftauchen, der sich dann zum Herrscher über seine willenlose Schafs-Armee aufschwingen wird, wie es ja so, hm, um 1933 herum bereits einmal geschehen ist. Doch diesmal wird das Blatt sich nicht mehr wenden; es wird der Super-GAU sein; während wir alle nur dastehen, Albert Einsteins berühmtes Zitat lesen und denken: „Was für ein altmodischer Kerl.“



©StefanieRoss

Donnerstag, 6. Februar 2014

Vielleicht ist das Schicksal wirklich ein mieser Verräter

Es ist Mittagszeit. Der Küchentisch ist gedeckt, um ihn herum sitzt Familie Schmidt. Es scheint ein perfektes Bild des familiären Friedens zu sein. Wäre da nicht die seltsame Armbewegung des Vaters. Sein Arm bewegt sich nur auf und ab, der Winkel von Ober- zu Unterarm ändert sich nicht. Es sieht monoton aus. Und tatsächlich: Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, dass auch mit seiner Hand etwas nicht stimmt: Über sie ist ein hautfarbener Handschuh gezogen.
Die Situation ist eindeutig: Dem Vater fehlt ein Arm. Stattdessen trägt er eine Prothese; eine Konstruktion, die seinen Arm ersetzt. Mithilfe von schraubenverstellbaren Metallfingern hält sie die Essgabel.
Wie ihm geht es vielen. Menschen mit Behinderung gibt es überall auf der Welt, sei sie durch die Geburt oder einen schweren Unfall ausgelöst worden. Erdbebenkatastrophen wie beispielsweise in Haiti fordern viele Opfer. Ganze Gliedmaßen werden von Trümmern zerquetscht und müssen amputiert werden. Was ist dann also naheliegender als eine Prothese? Sie erleichtern den Alltag und geben dem Verletzten ein Gefühl der Normalität in ihrem seitdem alles andere als normalen Leben. Nicht nur bei einem Beispiel wie dem der Familie. Menschen müssen sich finanzieren. Nur 0,25% aller Firmen nehmen Menschen mit körperlicher Behinderung bei sich auf. 0,001% behaupten es sogar, tun es jedoch nicht. Diese Zahlen sind eindeutig. Sie zeigen nicht nur, dass der Mensch einen Hang zum Lügen hat, sondern auch dass Menschen mit Behinderung automatisch abgestoßen werden, und das nicht nur, weil sie nicht arbeiten können. Aber um auf das Thema der Erleichterung im Bereich Arbeit zurückzukommen: Obwohl wir gerade gesehen haben, dass körperlich benachteiligte Menschen eben nicht so gerne eingestellt werden, kann man den Aspekt des eindeutigen Vorteils nicht von der Hand weisen. Einfache Arbeiten können auch von Menschen, die eine Prothese tragen, ausgeführt werden. Diese Tatsache ist überlebenswichtig; nicht jeder hat Verwandte und Bekannte, die sich um einen kümmern. Also was tun, wenn man völlig alleine dasteht? Nicht nur ohne andere Menschen, sondern auch ohne Arme oder Beine? Behinderungen können Existenzen gefährden. Und nicht nur durch die gerade eben erwähnte Tatsache des Alleinseins. Sondern auch durch eine viel Wesentlichere, an die kaum jemand denkt.
Folgendes Szenario: Sie haben einen Autounfall. Ihr Auto fährt mit voller Wucht gegen einen Baum. Die Motorhaube faltet sich zusammen, der Baum rast auf sie zu. Vielleicht denken sie ja: Endlich. Denn sie sind todunglücklich, weil es Menschen auf der Welt gibt, die einen unglaublich verletzen können.
Vielleicht denken sie das ja aber auch nicht, und dann rast das Ende in Form eines Baumes auf sie zu. Und vielleicht, ganz vielleicht, hat das Schicksal Erbarmen mit ihnen und verkeilt nur eben mal ihr Bein zwischen den Sitzen.
Vielleicht ist das Schicksal aber auch ein mieser Verräter, wie John Green mit dem Titel seines neuesten Buches überraschend scharfsinnig feststellt. Und dann passiert es eben, dass ihr Bein nicht nur verkeilt, sondern gnadenlos zerquetscht und zermahlen wird.
Das Thema von eben war jedoch der andere Grund, weshalb die Existenz gefährdet ist. Das Szenario haben wir nun. Das Unglück ist geschehen. Sie leben noch. Das Bein muss ab.
Und nun? Sie denken sicher nicht sofort an eine Prothese. Nein, im Gegenteil. Es werden sie Gedanken plagen, die den Geist jedes verletzten Menschen, seien es körperliche oder psychische Verletzungen, umschwirren wie ein gnadenloser, wütender Schwarm angriffslustiger Wespen: Es sind die Gedanken an Selbstmord.
Denn wie sollte es anders sein? Stellen Sie sich nur die Schmerzen vor, die sie erleiden müssen. Wie schlimm war es, als sie sich damals bei diesem Fahrradunfall das Bein brachen? Eine Lappalie. Oder der Sturz von der Treppe, bei der ihr Schädel in Mitleidenschaft gezogen wurde? Lächerlich. Ihr Bein ist nutzlos. Der Knochen nicht nur gebrochen, sondern zermalmt. Die Nervenbahnen – aktiv. Die Schmerzen? Nicht zum aushalten…
Auch ihre Psyche wird angegriffen. Diese wird in den meisten Fällen stärker belastet als der Körper. Der Freund steht einem plötzlich völlig gleichgültig gegenüber? Der Fahrradunfall ist nichts dagegen. Die Mutter stirbt? Treppe, ich komme…
Wie Sie sehen, muss man das Leben lieben, um es weiterhin akzeptieren zu können, nachdem einem Menschen etwas Derartiges geschehen ist. Sollte es tatsächlich Menschen geben, die eine solche Verletzung überwinden können, ist eine Prothese genau das richtige. Der Anschein der Normalität ist nicht garantiert, doch zumindest möglich. Beinprothesen sind mittlerweile so intelligent, dass die Bewegung so fließend ist, als sei sie ein richtiges Bein. Es gibt auch Beinprothesen für den Sport, mit denen Sportler zu bis zu Höchstleistungen rennen oder springen können, wenn nicht sogar besser als „vollständige“ Menschen. Andere Prothesen wiederum sind fast schon mit dem Körper verschmolzen, sodass sie mithilfe der Gedankenströme, die das Gehirn aussendet, bewegt werden können, als seien sie richtige Körperteile.
Das Problem bei der ganzen Sache waren seit der Weiterentwicklung der Prothese die Kosten. Nicht jeder kann sich diese Unterstützung leisten, schon gar nicht die modernsten Varianten. Viele lassen es dann lieber ganz bleiben. Ob man mit dem Fehlen eines Teiles seiner selbst weiterhin (sowohl körperlich als auch physisch) am Leben bleiben kann, kommt natürlich auf das Individuum an.
Ist man jedoch stark genug, einen Willen zu haben, so ist die Prothese, sei es nun ein Bein, ein Arm oder gar ein Herz, die Möglichkeit, wieder glücklich zu werden.

 
©StefanieRoss

Donnerstag, 21. November 2013

Morgendepression


Ermattet trottete sie die Treppe hinunter, eine Hand hilfesuchend auf das Geländer gelegt, die andere schwach über ihre müden Augen streichend. Der Tag war hart gewesen, angefangen bei ihrem frühmorgendlichen Zusammenbruch. Kein Mensch sollte so etwas durchmachen, fand sie, und auch sie nicht, wenngleich sie sich selbst hasste wie keinen anderen Menschen. Diese geistige Qual, die sie durchmachen musste, war einfach unmenschlich, und niemand, nicht einmal der gewissenloseste Schwerverbrecher, sollte mit einer solchen Bürde leben müssen. Die ständigen Zusammenbrüche, die Albträume, in denen die Hand ihrer Großmutter auf sie zusauste, bevor sie mit dem Bild der boshaft glimmenden Augen in ihrem Kopf aus dem Schlaf schreckte, schweißgebadet, verzweifelt bis auf die Knochen, schreckliche Bilder aus ihrer Vergangenheit unauslöschlich hinter die Stirn gedruckt und alleine, so völlig einsam und verloren, all der Angst und den Selbstzweifeln ausgesetzt, und keine Hand, sie sie vor dem Abhang zurückhielt, in den sie jeden Moment zu fallen drohte.
  Nein, niemand sollte so etwas durchmachen müssen. Niemand. Vielleicht sollte sie es einfach beenden, das alles. Es würde vorbei sein, für immer – all der Schmerz, der Drang, ihn wegzutrinken, mit Alkohol zu ersticken, bis die Flamme des Selbsthasses verloschen war, doch nur bis zum nächsten Morgen, an dem alles nur noch schlimmer war als an dem zuvor.
  Vielleicht war es die einzige Möglichkeit. Vielleicht war es richtig so. Was gab es zu verlieren? Ihr Leben war schon lange vorbei. Hatte eine gefolterte Seele zurückgelassen, die sich nie wieder würde erholen können. Niemals wieder. Zu tief waren die Schnitte darin, zu tief die Striemen der unbarmherzigen Peitsche des Lebens, das sie gezeichnet hatte auf immer.
  Als sie die letzte Stufe erreichte, sprang ihr der Hund entgegen. Colin. Der einzige Anker in ihrem Leben. Sie hatte ihn mit vierzehn bekommen, als sie die Frau noch nicht kannte, die ihr Leben zerstört hatte, nein, die ihr Leben dazu verleitet hatte, sie zu zerstören. Als alles noch gut war. Mittlerweile war Colin zehn, ein alter Bursche. Er erinnerte sie immer an die Zeit, in der sie noch ein behütetes Küken in Mamas Nest gewesen war. Als sie ein sorgloser, glücklicher und rebellierender Teenager gewesen war, der jeden Sonntag mit seiner Clique ausging und vom Leben nur erwartete, dass der Moment schön werden würde, dass sie jeden Atemzug genießen und ihren Spaß haben konnte. Das unbeschwerte Leben eines pubertierenden Jugendlichen noch einmal erleben zu dürfen, dafür würde sie in diesem Augenblick alles geben, in dem sie Colin hinter den Ohren kraulte und seine weiche, nasse und stinkende Hundezunge über ihr Gesicht lecken fühlte. Colin, ein altes, aber noch immer energiegeladenes Fellbündel, das ihr Tonnen von Liebe schenken konnte, ohne dem müde zu werden. Vielleicht war das Ende doch nicht der letzte Ausweg. Nicht, solange sie jemanden hatte, der ihr Herz noch ein wenig erfreuen und sie von all den schrecklichen Geschehnissen ablenken konnte, die in Dauerschleife, und ohne an zu realistischem Grauen zu verlieren, in ihren Gedanken rotierten, wieder und wieder. Und wieder, immer wieder. Den ganzen Tag, die ganze Nacht. Es war auf Dauer so erschöpfend, und doch ließ die Wahrheit nicht nach, hatte sie nach wie vor mit seinen scharfen, spitzen Klauen gepackt und schüttelte sie immer wieder erbarmungslos aus ihrer Traumwelt, schaffte sie es denn einmal, in ihr zu versinken. Hätte sie diese kurzen, gedankenlosen Traummomente nicht, die ihr nur Colin verschaffen konnte, indem er sie an diese wunderschöne, schwerelose Zeit erinnerte, die niemals wiederkehren würde und die beinahe schon vergessen war, würde sie ein letztes Mal zusammenbrechen und nicht wieder würde aufstehen können.
  Niemals.
  So vieles, das niemals wieder passieren würde. Vergaß sie, die Maske der professionellen Gleichgültigkeit aufrecht zu erhalten und gab sich ihren Gefühlen hin, wie in diesem Moment, tauchte das Wort Niemals erstaunlich oft auf.
  „Niemals“, flüsterte sie Colin ins Ohr und erntete ein begeistertes Wau. Ihr Hund sprang nach hinten, wedelte mit dem Schwanz und schnappte sich dann ihr weites Oberteil mit den Zähnen, um sie in die Küche zu zerren. Die Aktion entlockte ihr tatsächlich ein Lachen, das beinahe unbeschwert und… glücklich klang.
  Während sie Colin sein Futter in den Napf füllte, wappnete sie sich für den Tag. Dann schaltete sie das Radio ein und begann zufrieden mitzupfeifen. Die erste Hürde des Tages war geschafft. Den Rest würde sie auch noch auf die Reihe bekommen.



©StefanieRoss

Donnerstag, 14. November 2013

Alles fort



Er war ein netter Mensch, denke ich, während ich mir ein Brot schmiere. Es ist frisch, riecht nach gerade aus dem Ofen gekommen. Den Bäcker kennen wir schon ewig, er backte uns schon das Brot, als ich noch gar nicht da war. Er macht immer Körner rein, viele verschiedene Sorten, und niemand kauft ein anderes als das hier. Mittlerweile backt er glaube ich nur noch das. Ich schnuppere an der mit Butter bestrichenen Brotscheibe und muss erneut denken: Er war ein netter Mensch.
  „Was machst du denn da“, herrscht mich mein Vater an. Er sitzt am Küchentisch und wartet auf sein Brot. Auf dem Tisch steht ein Topf mit Frankfurtern und ein Glas polnischen Senfs. Meine Mutter sitzt meinem Vater stumm gegenüber und starrt auf die Tischplatte.
  Ich wende mich ab und streiche Erdbeermarmelade auf das Brot. Der Saft sichert in die Scheibe ein, wird aufgesogen. Es sieht aus wie Blut, das in ein Bettlaken sickert. Helles, pinkes Blut.
  Ich habe noch nie Blut gesehen, nicht richtig. Nur aus kleinen Schürfwunden. Ich bin erst zwölf und bisher wohlbehütet aufgewachsen.
Ich hätte ihn gern näher kennengelernt, beginnen meine Gedanken sich erneut um das einzige Thema zu drehen, das sie im Moment denken können. So ein netter Mensch.
  Ich lege meinem Vater das Brot auf den Teller und setze mich. Meine Mutter und ich haben Brotscheiben nur mit Butter. Ich kenne niemand anderen, der Frankfurter mit Erdbeermarmeladenbrot isst außer meinen Vater. Er beißt herzhaft in das Blutbrot und ich wende mich meinem Teller zu. Die Brotscheibe liegt da, einsam und allein, ohne Blut. Sie sieht lecker aus, doch ich habe keinen Hunger.
  Ich werfe einen verstohlenen Blick auf meine Mutter. Sie scheint es zu bemerken, denn ihr starrer Blick auf die Tischplatte wirkt plötzlich gezwungen. Eilige wende ich mich wieder meinem Unschuldsbrot zu, rupfe Stückchen heraus und ordne sie neben der Scheibe in einem Kreis an. Blutbrot, Unschuldsbrot. Vielleicht war es ja Hassbrot und Liebesbrot. Meine Mutter hatte auch ein Liebesbrot. Sie liebte ihren Bruder, und ich liebte ihn auch. Fand ihn zumindest sehr nett. So ein netter Mensch.
  Mein Vater mochte ihn nicht. Hasste ihn. Ich glaube, er ist sehr froh, dass er jetzt weg ist und er meine Mutter mehr für sich hat. Sie hat schon versprochen, aus dem Kirchenbeistand auszutreten. Sie liebte ihren Bruder, und sie liebte ihre Arbeit in der Kirche. Alles weg. Kein Wunder, dass sie so traurig war.
  Ich bin auch traurig. Es ist der erste Todesfall in meiner Familie, und heute Morgen war es auch meine erste Beerdigung.
  „Nun esst doch endlich, das ist ja grauenvoll mit euch.“  Ich starre auf meinen weißen Unschuldsteller mit meinem butterbestrichenen Unschuldsbrot. Ich muss meinen Vater nicht ansehen, um zu wissen, wie er aussieht. Vor Zorn über unsere seiner Meinung nach unberechtigte Trauer ist er ganz rot im Gesicht. Sicher hat er noch ein wenig Hassbrotblut an seinem Mundwinkel kleben.
  Kindlicher Zorn wallt in mir auf. Ich spüre, dass er kindisch ist, doch ich bin noch ein Kind ich darf das. „Lass uns trauern, Papa“, sage ich mit unterdrückter Wut. Plötzlich merke ich, wie wütend ich bin. So fühlte ich mich noch nie.
  Mein Vater lachte höhnisch. „Um diesen Waschlappen von Schwager? Niemals.“
  „Er war ein bekannter Autor“, wagte ich zu widersprechen. Das war Onkel Friedrich tatsächlich gewesen. Sehr gläubiger Pfarrer der örtlichen Kirche und ein recht bekannter Autor. Er schrieb kirchliche Texte für Zeitschriften und hatte ein Buch über den Glauben im einundzwanzigsten Jahrhundert geschrieben.
  Der spöttische Ton wurde beibehalten, und diesmal blickte ich ihn an. Mein Vater hatte die Hände gefaltet und in die Höhe gehoben. „Im Angesicht des Todes sind wir alle gleich, sagte er das nicht immer? Nun, sein Erfolgt wird ihn nicht vor dem Fegefeuer beschützen.“
  Ich wusste, dass das Zitat aus irgendeinem Horrorfilm stammte, den ich noch nicht sehen durfte. Der Satz, den ich kannte, lautete: Im Angesicht Gottes sind wir alle gleich. Vielleicht ist es auch dasselbe.
  Meine Mutter erhebt sich, zeigt stumm ihre Ablehnung gegen die Worte meines Vaters. „Ich werde wieder in die Kirche eintreten“, sagt sie und flieht ins Wohnzimmer.
  Ich folge ihr.
  Ich spüre, dass mein Vater wieder rot ist. Wütend.
  Mein Unschuldsbrot liegt unberührt auf dem weißen Teller.

  
©StefanieRoss

Samstag, 9. November 2013

Mein Freund, der Vampir

Es war an einem kalten Novemberabend, als ich meinen besten Freund das erste Mal sah.
  Es war der Geburtstag einer Freundin gewesen, meiner besten Freundin. Sie hatte eine abgelegene Hütte an einem Waldrand gemietet, Tonnen von Alkohol gekauft und die halbe Welt eingeladen. Dabei hatte sie mir noch zwei Tage zuvor versprochen, wir würden gemeinsam etwas unternehmen, so ganz ohne Alkohol und Drogen. Ich wünschte es mir so sehr, dass sie wenigstens ein Wochenende lang fort von diesem Teufelszeug kam.
  Ich hätte mir ja denken können, dass sie ihr Versprechen nicht hielt. Sie hielt ihre Versprechen nie. So war sie nun einmal, und trotzdem war sie meine beste Freundin.
  Ich hatte schon lange darüber nachgedacht, diese Freundschaft zu kündigen. Mir fiel immer öfter auf, dass Melissa mich ausnutzte – erst unauffällig, wenn sie sich Geld borgte und immer wieder vergaß, es zurückzugeben, und später auffälliger, als hielte sie meine Freundschaft und meine Unterstützung für selbstverständlich.
  Aber das war sie nicht. Ich könnte die Freundschaft leicht brechen – es würde mir nichts ausmachen. Ich hätte es schon lange getan, wäre da nicht die Eigenschaft meiner Persönlichkeit gewesen, dass ich Menschen gerne verletzte, wenn ich wütend auf sie war. Und ich war wütend auf Melissa. Im Moment jedoch hatte ich das Gefühl, sie würde nur gelangweilt mit den Schultern zucken, wenn ich es ihr sagte.
  Es war wie gesagt an Melissas siebzehntem Geburtstag, als ich ihn das erste Mal sah. Ich ging gerade, noch ziemlich unentschlossen, zu Melissa, um meine Freundschaft mit ihr zu kündigen. Nicht gerade der passendste Zeitpunkt, denn sie war schon stockbesoffen, obwohl es noch nicht einmal zwölf Uhr war. Ich ging trotzdem, denn ich war zu feige, es ihr in nüchternem Zustand zu sagen. Meine Obsession, sie verletzen zu wollen, ließ ich dabei außer Acht. Ich wollte es einfach hinter mich bringen.
  Bevor es allerdings dazu kam, rempelte mich ein großer Junge an, den ich nicht kannte. Er fing mich mit starken Armen auf, stellte mich wieder auf beide Beine und entschuldigte sich höflich, wobei er mich aus einfach unglaublichen Augen anblickte, eines orange, fast rot, das andere strahlend blau. 
 Er war mir total sympathisch, und vor allem noch nüchtern, während alle um uns herum herumhampelten und sich in die Kübel der Zimmerpflanzen übergaben. Ich verliebte mich erstmal in ihn.
  Ich glaube, er sah mir an, dass ich mich hier nicht wohlfühlte, und führte mich nach draußen an die frische, kühle Luft. Es lag schon Schnee überall, und mein Atem bildete Dampfwolken vor meinem Mund. Meine Haut unter dem kurzen schwarzen Partykleid wurde von einer Gänsehaut überzogen und ich schlang die Arme um mich.
  Mein Begleiter lächelte mich charmant an, dann zog er das Jacket seines Anzugs aus und reichte es mir wortlos. Erst wollte ich es nicht annehmen, doch da ich nicht vorhatte, allzu schnell wieder nach drinnen zu gehen, zog ich es schließlich doch über. Außerdem schien der Junge nicht zu frieren.
  Jetzt streckte er die Hand aus und deutete auf einen umgefallenen Baumstamm etwa fünf Meter von uns entfernt, der ein wenig vom Licht der Lampen aus dem Haus erhellt wurde. „Wollen wir uns setzen?“, fragte er.
  Ich nickte. Bis jetzt war er ein sehr angenehmer Begleiter.
  Als wir dorthin schlenderten, legte er eine kalte Hand um meine Hüfte. Erst dachte ich, er wolle sich an mich heranmachen, doch gleich darauf erkannte ich, dass er es nur tat, weil der Boden von rutschigem Eis überzogen war. Er ließ meine Hüfte auch sofort los, sobald wir saßen.
  Jetzt betrachtete ich ihn genauer, nicht mehr so oberflächlich wie zuvor. Seine Haut war ungewöhnlich hell, völlig makellos und rein. Sein schwarzes Haar war zerzaust, was ihn ziemlich sexy machte. Und unter dem durchscheinenden weißen Hemd sah ich kräftige Muskeln.
  Mit einem Satz: Er erinnerte mich verdammt an Edward Cullen aus Stephenie Meyers Biss-Reihe.
  Was ihn natürlich noch ein wenig attraktiver machte.
  „Wie heißt du?“, fragte er mich. Ich kuschelte mich etwas enger in sein Jacket und antwortete grinsend: „Bella Swan.“
  Doch anstatt zu lachen sah er einfach nur gequält aus. Weshalb?, fragte ich mich da. Ich dachte natürlich kein bisschen mehr an meine Edward-Cullen-Theorie, schließlich gab es so etwas wie Vampire gar nicht.
  Ab da wurde mein Abend richtig interessant. Der gequälte Ausdruck währte nur eine Sekunde, dann grinste er ebenfalls. Schließlich tauschten wir unsere richtigen Namen aus – ich sagte ihm, dass ich wirklich Isabella hieß, und er meinte, sein Name sei Thomas.
  Ich glaube, wir redeten stundenlang. Über dies und das, erst ein wenig Smalltalk, dann wurden unsere Gespräche allmählich privater. Ich wusste zwar, dass man Fremden nicht so viel über sich erzählen sollte, aber dieser Junge… Thomas hatte etwas an sich, das mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelte. Meine Verliebtheit war verschwunden, ich blickte Thomas einfach gerne in die Augen, hörte ihm zu, wenn er etwas sagte, und genoss die Aufmerksamkeit und den Ernst, wenn ich ihm von meinen Problemen erzählte. So etwas hatte mir bei Melissa immer gefehlt: Jemand, an den ich mich wenden konnte, wenn ich Probleme hatte.
  Auch wenn ich bezweifelte, dass ich Thomas nach dieser Party jemals wieder sehen würde, sah ich genau diesen Jemand in ihm.
  Heute war mein letzter Tag hier. Ich zog um, nach Hamburg, was mindestens vierundzwanzig Stunden Fahrt von hier entfernt war, mit dem Flugzeug acht.
  Ich glaube, ich hätte diese Fahrt sogar auf mich genommen. Unsere soeben entstandene Vertrautheit schien so etwas wie Liebe auf den ersten Blick für Freunde zu sein.
  Als er also gegen drei Uhr morgens mit einem Blick auf seine Armbanduhr aufstand, spürte ich einen Stich der Enttäuschung im Herzen.
  Doch dann sagte er: „Wir haben unsere ganzen Lebensgeschichten ausgetauscht. Doch etwas habe ich dir verschwiegen. Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.“
  Er reichte mir eine Hand, um mir aufzuhelfen. Fast sofort knickten meine Beine unter mir ein – vor lauter Gesprächen hatte ich glatt vergessen, dass es Winter war und überall Schnee lag. Doch statt eine Minute zu warten, bis das Blut in meinen Beinen wieder zu zirkulieren begann, hob Thomas mich einfach auf seine Arme und spazierte mit mir in den Wald.
  Ich umklammerte etwas hilflos seinen Hals und fragte etwas kleinmädchenhaft: „Wohin gehen wir?“
  Thomas verzog seine Lippen zu einem Strich. „Du weißt nicht, wie wichtig du mir in den letzten Stunden geworden bist. Ich habe noch nie so jemanden wie dich kennengelernt. Ich möchte dich in das große Geheimnis meiner Familie einweihen.“
  In diesem Moment machte er mir Angst, und gleichzeitig tauchte wieder die Vampir-Theorie in meinen Gedanken auf. Ich wollte mich tatsächlich von ihm losmachen, der er packte mich nur ein wenig fester und meinte traurig: „Bitte vertrau mir doch“, während er mich aus seinen inzwischen so vertrauten, rot-blauen Augen ansah.
  Ein guter Freund durfte mir keine Angst machen, das wusste ich. Deshalb sagte ich, so leise, dass ich erst glaubte, er habe es nicht gehört: „Thomas. Bitte lass mich runter. Ich möchte das Geheimnis nicht wissen, wenn du mir dabei solche Angst machst.“
  Erst lief er stur weiter, tat, als hätte er nichts gehört. Dann drosselte er sein Tempo. Schloss seine Augen. Und setzte mich langsam ab.
  Ich blickte ihn traurig an. Wie wichtig mir Thomas wirklich war, erkannte ich erst jetzt. Mein freundschaftliches Empfinden zuvor war nichts gegen diese tiefe Liebe, diesen absurden Beschützinstinkt, den ich nun ihm gegenüber empfand.
  Seine Nasenlöcher blähten sich, als er tief einatmete. Dann öffnete er die Augen. „Es tut mir so Leid. Ich wollte dir keine Angst machen. Ich glaube wirklich, es ist besser, wenn du mein Geheimnis nicht kennst.“
  Ich nickte traurig. Dann sagte ich ihm das, was ich bisher unauffällig verschwiegen hatte. „Ich ziehe morgen nach Hamburg. Vielleicht sehen wir uns nie wieder.“
  Ich sah deutlich, wie sehr ihn das verletzte. Er ergriff meine halb erfrorenen Hände, hob sie an seine Lippen und drückte einen eisigen Kuss darauf. „Isabella“, murmelte er dabei meinen Namen.
  Dann verschwand er im Wald.
  Jetzt stehe ich hier in Hamburg auf dem Balkon meiner neuen Wohnung. Seit zwei Monaten habe ich nichts mehr von Thomas gehört. Er hatte mir weder geschrieben, noch hatte er angerufen, obwohl wir sowohl Adressen als auch Nummern ausgetauscht hatten. Fast glaube ich schon, er habe mich vergessen, da höre ich ein Flattern über mir. Als ich den Kopf hebe, sehe ich nur noch den durchscheinenden Flügel einer Fledermaus, die gerade etwas fallengelassen hatte.
  Der Brief landete direkt vor meinen Füßen. Erst zögerte ich, ihn zu nehmen, hielt weiter nach der Fledermaus Ausschau, doch schließlich hob ich ihn auf und öffnete ihn.
  Der Inhalt war knapp, bedeutungslos. Und trotzdem ließ er mein Herz höher schlagen. Er lautete: Morgen Abend, neben der Kirche.



©StefanieRoss 

Dienstag, 9. Juli 2013

(unbenannt)



Es war einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Nein, eigentlich war es der einzige. Und der Letzte. Denn schließlich war es mein letzter Tag auf Erden. Zumindest als Mensch.
  Wir waren alle versammelt, es herrschte eine tolle Atmosphäre. Melanie hatte den Schlüssel von ihrem Vater geklaut, der Schlüssel zu dem Haus, das keiner kaufen wollte. Ihr Vater ist Immobilienmakler. Und das Haus ist er einfach nicht losgeworden.
  Es befindet sich etwas außerhalb eines kleinen Dorfes, das nicht einmal groß genug ist, um einen Namen verdient zu haben. Gerade weit genug weg ist es, als dass man im Falle eines Brandes keine Hilfe holen konnte. Eigentlich war dieses Haus völlig abgeschottet von allem.
  Es hatte schon den Ruf eines Geisterhauses, als ich noch nicht einmal geboren war. Vor vielen Jahren sollen dort schlimme Dinge geschehen sein, und seit vielen Jahren wohnte auch niemand mehr dort.
  Eine Familie Scott lebte dort, erzählte mir mein Vater. Sie sei eine ganz normale Familie gewesen, ein Anwalt, eine Sekretärin, und ein kleines Mädchen, gerade mal ein Jahr alt. Glücklich waren sie, heißt es. Damals standen um das Haus herum auch noch einige andere. Aber irgendwie sind sie verschwunden, keiner weiß mehr, wann das war. Aber irgendjemand hat sie wohl abreißen lassen, und seitdem steht das Haus einsam und alleine dort.
  Seitdem. Was dort geschehen ist? Nun, es gibt keinen Menschen, der das weiß. Aber ich weiß es. Das Geheimnis offenbart sich mit dem Tod. So hieß es in den Schauergeschichten des Dorfes, und jetzt wusste ich, was damit gemeint war.
  Ehemals war das Haus blau, ein schönes, kräftiges und belebendes Blau. Aber seit das passiert ist, was passierte, ist es immer mehr verwahrlost. Der Putz ist abgebröckelt, von der blauen Fassade ist nicht mehr viel zu sehen. Die Holzveranda ist morsch und knirscht, wenn jemand darauf läuft. Die Eingangstür quietscht. Die Räume sind voller Spinnweben, sie sehen aus wie aus dem siebzehnten Jahrhundert. Als sei die Zeit stehen geblieben. Zentimeterdick liegt der Staub auf den Möbeln.
  Ich finde die Möbel sehr schön. Gerne würde ich sie vom Staub befreien um zu sehen, wie sie in voller Pracht aussehen.
  Als Familie Scott dort wohnte, war das Haus traumhaft. Viktorianischer Baustil, von Generation zu Generation weitervererbt, bis es bei Angie Scott landete. Es sei Tradition, mit seiner Familie in diesem Haus zu leben, meinte sie immer. Und als sie dann ihre Familie gegründet hatte, lebten sie dort. Glücklich, ohne Sorgen. Mit netten Nachbarn und einem Gärtner, der ihren Garten pflegte.
  Der Vorfall ereignete sich ein Jahr nach dem Einzug der Familie. Für die Öffentlichkeit war die Sache ein Rätsel. Von einem Tag zum anderen war die Familie verschwunden. Es ist das größte Geheimnis, das es je gab. Kein Mensch kennt es.
  Ich weiß es. Jetzt weiß ich es.
  Es ist einsam hier, seit mein neues Leben begonnen hat. Ich habe dieses leere Notizheft gefunden, es gehörte wohl Angie. Und diesen Stift, ein kleiner Bleistiftstummel. Eigentlich kann ich nichts berühren und dieses verfluchte Haus nicht verlassen, aber irgendwie scheinen diese beiden Dinge eine Ausnahme zu bilden. Als hätten sie auf mich gewartet. Als hätten sie noch eine Aufgabe zu erfüllen. Als hätte ich noch eine Aufgabe zu erfüllen.
  Der Stift wird vermutlich nicht mehr lange halten, aber ich möchte die Geschichte aufschreiben. Für die Nachwelt. Für euch, damit auch Menschen das Geheimnis kennen, ohne es durch den Tod offenbart zu bekommen.
  Es passierte, als James, der Mann, auf Geschäftreise war. Weit weg war er, auf den Kanaren, wohl kaum auf Geschäftsreise, und Angie vermisste ihn. Heute Abend würde er wiederkommen. Noch drei Stunden.
  Angie kochte für ihn. Sein Lieblingsessen. Die kleine Susan schlief in ihrem Bettchen ein Stock über ihr. Das Babyfon war eingeschaltet, es stand neben der Spüle.
  Alles war friedlich. Draußen senkte sich die Dämmerung über das Land, das Fenster war aufgrund der Schwüle im Raum gekippt. Frische Luft strömte herein.
  Angie pfiff vor sich hin. Sie war glücklich.
  Plötzlich verstummte ihr Pfeifen. Sie glaubte, ein Geräusch gehört zu haben. Kam es von draußen? Sie warf einen Blick durch das Fenster. In der Nachbarschaft regte sich nichts, kein Licht brannte.
  Kam es aus dem Babyfon? Ging es Susan gut?
  Eine Weile blieb es stumm, dann beruhigte sich Angie wieder und machte sich erneut an die Arbeit.
  Wenige Sekunden danach ertönte das Geräusch erneut.
  Es kam aus dem Babyfon.
  Susan!
  Angie ließ das Geschirrtuch fallen und stürmte auf den Flur und die Treppe hinauf. Immer wieder ertönte das Geräusch in ihrem Kopf: Ein ersticktes Gurgeln. Ihre Tochter erstickte gerade!
  Sie nahm zwei Stufen auf einmal, ihr Hals war wie zugeschnürt. Wie in Zeitlupe näherte sie sich der Tür zu Susans Zimmer, ihre Beine wollten ihr einfach nicht mehr gehorchen, es war wie in einem Albtraum.
  Schließlich war sie da, sie stieß die Tür auf.
  Ihre Tochter hing an einem Strick von der Decke. Das kleine Gesichtchen blau angelaufen, die goldigen Locken wirr im Gesicht.
  Das war das Ende von Susan Scott. Und damit auch das Ende von Angie und James. Schon am nächsten Tag verließ James seine Frau. Wiederum einen Tag später hatte sie sich umgebracht.
  Seitdem gilt das Haus als verflucht. Niemand weiß, wie die kleine Susan an den Strick gelangen konnte. Selbstständig unmöglich. Keiner der Nachbarn hatte etwas gesehen. Die Fenster waren geschlossen, die Haustür verriegelt.
  Natürlich glaubte das keiner von uns. Wir, das waren meine vier besten Freundinnen Lucy, Pam, Mel und Jen, und natürlich ich. Wir sind mit dem Mythos um das Haus aufgewachsen. Schon als kleine Kinder sind wir immer darum herumgerannt, auf den Grundstücken, auf denen früher die Nachbarshäuser gestanden hatten. Aber näher heran hatten wir uns nie gewagt, unsere Eltern hatten es verboten.
  Verbote von Eltern werden meist gebrochen. Keins hatte jedoch die Auswirkungen wie jenes hier.
  Wir waren fünfzehn Jahre alt, alle fünf. Es geschah an meinem Geburtstag. Wir wollten etwas Besonderes machen, die Feier war schließlich an Halloween.
  Und was passte besser zu einer Halloween-Party als ein verfluchtes Haus? Genau, nichts.
 Mel hatte das Spiel Gläserrücken dabei, oder wie es heißt. Damit wollten wir mit dem Geist der toten Susan sprechen. Oder es zumindest versuchen. Es kam schließlich nur auf den Kick an.
  Einzubrechen war leicht. Mit Taschenlampen bewaffnet und ängstlich kichernd schlichen wir uns an. Der Holzboden der Terrasse knarzte, als wir uns der Haustür näherten.
  Sie war nur angelehnt, als hätte sie auf uns gewartet. Niemand fragte sich, wieso sie nur angelehnt war, aber sie war es. Sie war es wohl schon die ganzen Jahre über. Musste.
  Es war wirklich gruselig. Das dunkle Haus, das Knarzen überall, die Hintergrundgeschichte.
  Ja, es war die richtige Location für unseren Horrorabend.
  Keine von uns sollte jemals einen nächsten Morgen erleben.
  Der richtige Raum war schnell gefunden. Es war wohl ein Wohnzimmer gewesen, früher. Damals. Der Boden war mit einer dicken Staubdecke belegt, darunter lag burgunderroter Teppich. Wir kümmerten uns nicht um den Staub, sondern setzten uns.
  Das Spiel begann auch gleich danach. Unterbewusst wollten wir wohl alle so schnell wie möglich wieder nach Hause.
  Wir legten unsere Zeigefinger auf das umgedrehte Glas, das in der Mitte des Brettes voller Buchstaben stand.
  Halb belustigt begann Mel, den Geist von Susan anzurufen. Wir waren alle erschrocken, als sich das Glas bewegte – wirklich alle. Noch heute weiß ich, dass sich das Glas wirklich bewegt hatte. Nie hatte ich so erschrockene Gesichter gesehen wie damals die meiner Freundinnen, als das Glas den Satz Ihr seid alle des Todes bildete. Jenn rannte zuerst hinaus, es folgten Lucy, Pam, und Mel selbst. Später sollte ich erfahren, dass keiner von ihnen ihr Haus noch erreicht hatte.
  Ich blieb sitzen. Ich konnte mich nicht rühren, mein Finger war wie auf dem Glas festgeklebt, meine Beine gehorchten mir nicht. Und meine Augen fixierten starr die durchscheinende Kindergestalt, die in der Ecke des Raumes stand und mich anstarrte.
  Goldblonde Locken umrahmten das friedliche, junge Kindergesicht. Ich wusste sofort, dass es der Geist von Susan war. Ich wusste es einfach. Auch wenn sie nicht blau angelaufen war, wie es erzählt wurde.
  Noch immer war ich starr, als Susan die Hände ineinander faltete und in ihrem langen Schlafkleid auf mich zuschwebte. Sie lächelte niedlich, kleine Grübchen bildeten sich auf ihren Backen.
  Nicht, dass eine Einjährige laufen oder sprechen, geschweige denn schweben konnte, aber diese hier tat es. Mary, sagte sie lächelnd zu mir. Ich bin ja so froh, dass du gekommen bist. So lange habe ich auf dich gewartet.
  Kühle Geisterfinger strichen über meine Kehle, und mir brach der Angstschweiß aus. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ach was, höher. Wenn ich nur nicht so gelähmt wäre, wenn ich nur weglaufen könnte!
  Jetzt bin ich erlöst, säuselte es an meinem Ohr. Etwas Eiskaltes berührte meinen Nacken, dann spürte ich Blut meinen Rücken herabrinnen.
  Wie wundervoll, hauchte es, und dann: Du bist meine Rettung.
  An den Schmerz, der folgte, und an das Blut, das im Takt meines rasenden Herzens aus einer zweiten Bisswunde in meinem Hals auf das unbefleckte Gesicht der Einjährigen schoss, möchte ich gar nicht mehr denken.
  Als ich erwachte, war Susan weg, und mit ihr meine Verletzungen.
  Und meine Menschlichkeit.
  Ich bin jetzt wie sie. Verdammt, für immer und ewig oder so lange, bis mich jemand erlöst, in diesem Haus zu leben. Ich weiß, dass mich so bald niemand suchen wird.
  Alle haben mich vergessen. Meine Mutter, mein Vater, mein Bruder. Es ist als hätte ich nie existiert. Dies ist Teil des Fluches, der auf mir lastet.
  Dieses Notizbuch ist sehr schön. Ich würde gerne noch mehr aufschreiben, doch der Bleistift lässt es nicht mehr zu. Er ist eigentlich gar nicht mehr vorhanden.
  Vielleicht werden ja irgendwann wieder Mädchen kommen, von denen ich mir eine aussuchen kann, um erlöst zu werden. Und vielleicht nimmt eine der Flüchtenden dieses Notizbuch mit, das ich gleich sehr deutlich in die Mitte des Wohnzimmers legen werde, und vielleicht wird es der Finder ihrer Leiche lesen können.
  Ich hoffe es so sehr. Hoffe so sehr, dass dieser Fluch einmal ein Ende haben wird.


©StefanieRoss

Sonntag, 31. März 2013

Frohe Ostern!


Da ich heute die meiste Zeit weg sein werde, nur einen schnellen Ostergruß von mir: Frohe Ostern allerseits!
Ich wünsche euch allen glückliche und vor allem entspannte Osterfeiertage! Genießt die Ferien, lest viel und verjagt bloß nicht den Osterhasen aus eurem Garten! ^_^
Liebe Grüße,
eure funne ;)

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Freitag, 2. November 2012

Prinzessin Karolinas Märchen

  1. Märchen
Es war einmal eine wunderschöne Prinzessin namens Karolina, die unglaublich in einen Hund namens Frank verliebt war. Doch der Hund hatte Besseres im Kopf: Essen. Eines Tages kam ein böser Drache und entführte Prinzessin Karolina. Er brachte sie in eine Höhle weit weg von ihrem Königreich. Viele Tage hungerte sie und ließ sich vom Drachen die Finger rösten und anknabbern. Und da passierte es: Plötzlich stand der Hund Frank am Eingang der Höhle und konnte sprechen! Er sagte: „Küsst mich, Prinzessin Karolina!“ Was sich die Prinzessin natürlich nicht entgehen ließ. Sofort verwandelte sich der Hund in einen Mann und stellte sich vor. „Ich bin Prinz Fuß. Netter Name, den du mir da gegeben hast!“ Dann kam der Drache zurück und Prinz Fuß tötete ihn. Die beiden heirateten und waren glücklich bis an ihr Lebensende.

  1. Märchen
Es war einmal eine Prinzessin namens Karolina, die immer sehr sehr böse auf eine ihrer Freundinnen war, die lieber Märchen  über sie statt Erotikromane schrieb. Sie dachte den gaaaaanzen Tag an diese Märchen und ärgerte sich. Doch eines Tages passierte etwas, das sie davon ablenkte: Durch die Tür ihres Zimmers kam ein abstoßend hässlicher Hund hereingetrappelt! Dann sprintete er los und stürmte auf die erschrockene Prinzessin zu. Er schleckte ihr ganzes Gesicht von oben bis unten ab und plötzlich wusste Prinzessin Karolina: Das war ihr verschwundener Hund Frank! Aber er war es doch nicht, denn plötzlich verwandelte er sich in einen riesigen schwarzen Drachen und fraß Karolina auf. Sie schrie noch, doch es war zu spät: Schon setzte die Verdauung des Drachen ein und die noch lebende Prinzessin Karolina wurde Stück für Stück verdaut. Prinzessin Karolina war nicht die Heldin dieser Geschichte: Es war Hund Frank, der soeben das Zimmer betrat.

  1. Märchen
Es war einmal eine wunderWUNDERschöne -.- Prinzessin namens Karolina, die UNSTERBLICH in einen Prinzen namens Frank verliebt war. Was sie jedoch nicht wusste: Prinz Frank konnte sich in einen Hund namens Fuß verwandeln, der am Hof der Prinzessin lebte und ihr Lieblingshund war. Eines Tages kam dieser Hund mit einer schwarzen Krone auf dem Kopf angetrappelt und legte sie Karolina vor die Füße. Diese war so fasziniert davon, dass sie sie sofort aufsetzte. Es war eine Krone für Frauen. Auf ihr stand „Queen for a day“. Die Warnung sah Karolina nicht: NUR für einen Tag, und dann würde sie sterben. Während die Prinzessin also glücklich mit ihrer Krone herumhüpfte, jaulte Fuß kläglich. Denn eigentlich wollte er nicht, dass Prinzessin Karolina die Krone aufsetzte, denn der Prinz Frank in ihm liebte die Prinzessin über alle Grenzen. Doch sie war so übereifrig gewesen. Da musste Frank seine wahre Gestalt zeigen, um Karo zu retten. Er riss ihr die Krone von Kopf und rief Karo zu: „Ihr müsst sie zerstören, sonst seid ihr im Morgengrauen tot!“Nur die Prinzessin konnte die allseitsgefürchtete Krone der Angst zerstören, und als sie die Inschrift „Queen für a day“ sah, tat sie das auch. Denk dir deine glückliche Zukunft mit Prinz Frank selbst aus, Karo!

  1. Märchen
Es war einmal eine Schülerin im EG namens Karolina, die in Wirklichkeit eine Prinzessin war, die sich vor Mördern verstecken musste. Es sollte nur kurzfristig sein, doch da passierte es: Karolina verliebte sich in einen Jungen namens Fuß! Die beiden ignorierten sich jedoch, da niemand seine Liebe zeigen wollte. Eines Tages wurde plötzlich die Schule von schwarz maskierten Männern gestürmt. Es waren Karolinas Jäger! Alle rannten weg und ließen sie alleine, außer einer: Fuß. Mutig stellte er sich vor sie, und dann machte er das kamehame-ha!, das er oft heimlich zu Hause übte und verwandelte die Männer in Aschehäufchen. Fuß gestand Karolina seine Liebe zu ihr und sie ebenso. Das ist der Grund, warum Karolina ihre Prinzesslichkeit aufgegeben hat, nämlich um bei Fuß zu bleiben. Man denkt immer noch, wenn man die beiden beobachtet, die beiden kennen sich kaum, doch…


©StefanieRoss

Freitag, 24. August 2012

Liebster Blog Award! +_+

Dieser Award wandert ja seit geraumer Zeit durch die Blogs und verbreitet sich wie die Pest -.- Was meine Freude jedoch nicht mindert, im Gegenteiols, denn es ist der erste Award auf diesem Blog ^^ Ich habe aber beschlossen, ihn nicht mehr weiterzugeben, denn es hat ihn eigentlich schon jeder und ich hab keinen mehr gefunden, der ihn nicht hat o.O Na ja. Der hier ist auf jeden Fall von our red carpet of books. Schaut da mal rein!

Lg, eure funne

Samstag, 16. Juni 2012

Winnetou-Wettbewerb

In meiner Nähe gab es mal einen Winnetou-Wettbewerb. Es ging darum, eine Kurzgeschichte mit Winnetou und einem Freund namens Martin zu schreiben. Leider habe ich nichts gewonnen und es ist auch schon lange her, aber eben habe ich die Geschichte wiedergefunden und dachte, damit ich sie nicht vergesse, veröffentliche ich sie hier, auch wenn sie nicht so gut ist:)

Winnetou saß auf seinem Lieblingsstein und arbeitete an dem Geschenk für seinen Vater. Es sollte natürlich etwas besonderes sein, denn so etwas verlangte das Volk schließlich vom Sohn des Häuptlings der Apatschen, Intschu tschuna. Das tat Winnetou auch. Er schnitzte einen Dolchgriff aus Holz für seinen Vater, aus dem besten Holz des Waldes. Tagelang hatte er danach gesucht, bis er endlich im Land seiner Feinde, den Kiowas, den perfekten Baum fand.
  Für den Dolchgriff, den Winnetou anfertigte, brauchte man nämlich nur das beste Holz, welches das war, hatte ihm Klekih-petra, sein weißer Bruder gesagt. Das Holz zu besorgen war eine sehr schwierige Mission gewesen, aber für Winnetou, den Häuptlingssohn der Mescalero-Apatschen war das kein Problem gewesen.
  Er verzierte  gerade die Vorderseite des Griffes kunstfertig mit Indianischen Schriftzeichen, da spitzte er die Ohren. Er hatte ein leises Geräusch vernommen, das nur seine geübten Ohren hörten. Doch dann hörte er einen dumpfen Schlag und vernahm einen indianischen Fluch, wie in selten jemand gehört hatte. Sofort wusste Winnetou, um wen es sich handelte und er wusste auch, dass er keine Vorsicht walten lassen musste, denn den Geräuschen nach handelte es sich um Martin Baumann, den Sohn des Bärenjägers. Er war ein leichtsinniger Bursche, denn selbst für einen Halbindianer bewegte er sich gut hörbar. Winnetou kannte ihn schon, seit er geboren wurde. Sie hatten sich angefreundet und kamen gut miteinander klar. Winnetou  vertraute ihm und hatte ihm deshalb sogar den Ort des Versteckes verraten, in dem er sich gerade befand.
  Es dauerte noch einige Zeit, bis Martin aus den Büschen gestolpert kam, was daran lag, dass er noch eine Weile von Winnetou entfernt war, als er sich etwas angestoßen hatte. Winnetous Ohren waren nebst denen seines Vaters tatsächlich die Besten im ganzen Lager.
  „Ich grüße dich,  Bruder Winnetou“, keuchte der Angekommene. Seine langen schwarzen Haare waren verwuschelt. An seiner Stirn hatte sich eine große Beule gebildet.
  „Ich grüße Martin zurück. Was führt dich hierher?“
  „Die Langeweile. Ich habe meinen Unterricht bei meinem Vater heute früher beendet. Deshalb habe ich dich aufgesucht.“
  „Es freut mich zu hören, dass ich dir die Langeweile vertreiben kann. Hast du etwas Bestimmtes geplant?“
  „Ich dachte, wir könnten einen Erkundungsausflug machen. Vielleicht erfahren wir etwas ganz Wichtiges. Es könnten ja die Kiowas einen Angriff auf unser Volk verüben.“
  „Das könnten sie allerdings, auch wenn es unwahrscheinlich ist. Doch auch ich habe noch Zeit, mein Geschenk fertigzumachen. Deshalb werde ich mit dir auf den Erkundungsritt kommen.“
  „Ich bin erfreut über deine Zusage und richte schon die Pferde her. Du kannst in der Zeit, die die Bleichgesichter fünf Minuten nennen, nachkommen.“
  Dann verschwand er wieder. An der gleichen Stelle wie vorher – Winnetous gute Ohren konnten sogar die Entfernung bestimmen – hörte er wieder einen dumpfen Schlag und ein noch schlimmeres Wort als vorher. Dann wurde es still. Winnetou erhob sich. Auf dem Weg durch den Wald ließ er sich Zeit, denn er war sich sicher, dass er den ungeschickten Martin sonst einholen würde. Winnetou machte noch einen kleinen Umweg zu einem kleinen Bach, an dem er seine Feldflaschen auffüllte. Dann war die Zeit vergangen, die die Bleichgesichter fünf Minuten nennen, und er verließ den Wald in Richtung des Lagers.
  Das Lager war von außen ein schwer bewachter Ring aus gigantischen Baumstümpfen, um die zu jeder Zeit eine Patrouille herumzog. Ungeübte Augen hätten die Krieger nicht bemerkt, doch Winnetou war es schließlich, der sie auf ihre Posten geschickt hatte. Deshalb machten die Apatschen sich auch nicht bemerkbar und ließen Winnetou passieren.
  Der Eingang des Dorfes lag gut versteckt. Man musste durch eine unauffällige Höhle, die direkt in das Dorf führte. Winnetou stellte sich an den Eingang und machte das Quaken eines Pfeilgiftfrosches nach. Jetzt würden die Wachen am anderen Ende wissen, dass kein Feind zu ihnen kam, sondern Winnetou, der Häuptlingssohn. Das war auch tatsächlich der Fall. Zusätzlich hatte Martin sie davon unterrichtet, dass Winnetou in fünf Minuten eintreffen würde. Also schritt Winnetou zu den Pferdeställen und holte seinen tiefschwarzen Hengst namens „schneller Blitz“ heraus. Er stammte aus der Zucht der Apatschen, die im ganzen Land berühmt war. Es wäre ein schrecklicher Verlust gewesen, wenn die Apatschen ein paar dieser Pferde an Feinde verloren hätten.
  Martin befand sich schon bei den Ställen und beruhigte sein dunkelbraunes Pferd „schlauer Fuchs“. Es entstammte ebenfalls der Apatschenzucht.
  „Bist du bereit, aufzubrechen?“, fragte er Winnetou aufgeregt.
 „Ich bin bereit. Ich muss nur noch meinem Vater sagen, dass ich mit dir ausreite. Er wird es mir erlauben.“
  „Tu das. Ich werde am Eingang auf dich warten.“
Ein Bisschen später ritten die zwei über die Prärie. Die Indianer können schon mit                                                   zwölf Jahren hervorragende Reiter sein, was der Anblick der beiden bewiesen hätte. Doch nun sah sie niemand, und das war den Apatschen auch recht, denn das ist der Sinn und Zweck eines Erkundungsfluges: ausspionieren, aber nicht ausspioniert werden. Die beiden Freunde jagten über die Prärie. Das machte ihnen eine riesige Freude. Das machte allen Indianern riesige Freude. Doch bei Winnetou zuckte kein Gesichtsmuskel, denn die Indianer sollten ihre Gefühle nicht offen zeigen, selbst wenn es Trauer oder Schmerz war. Das war den Indianerkindern angeboren, das musste man ihnen nicht beibringen. Nur Martin konnte das nicht, denn seinen Namen und auch einiges anderes hatte er von seiner Mutter geerbt, die ein Bleichgesicht war. Martin hatte sie nie kennen gelernt.
  „Schau!“, rief Winnetou aus. „Dort hinten! Siehst du die Reiter?“
  „Ich sehe sie!“, antwortete er.
  „Nun überlege: Wenn wir sie sehen, werden sie uns auch sehen. Was, wenn es Bleichgesichter sind? Oder Kiowas?“
  „Reiten wir davon!“
  Die beiden ritten so schnell, wie sie noch nie geritten sind. Ihre Pferde schnauften schon, doch die beiden machten keinen Halt. In der großen Angst, die sie hatten, obwohl kein Indianer Angst haben sollte, achteten sie nicht auf den Weg und gelangten schließlich in eine enge Schlucht – mit nur einem Ausgang: den durch den sie gekommen sind. Die Indianer wollten noch rechtzeitig umdrehen und fliehen, doch da bildeten sich schon Sandwirbel vor dem Eingang und die Reiter hielten an. Sie waren ihnen tatsächlich gefolgt. Die Pferde der anderen waren besser trainiert und dadurch viel ausdauernder. Winnetou blickte sich noch einmal nach einem Ausweg um, doch als er keinen entdeckte, strafften Winnetou und Martin die Schultern und blickten stolz nach vorne, denn soeben hatten sich die Reiter als Kiowas herausgestellt, die die größten Feinde der  Mescalero-Apatschen sind.
   Ein einzelner Reiter trennte sich von der Gruppe aus dreißig Kiowas und ritt auf sie zu. Es war der Häuptling der Kiowas auf einem Erkundungsritt.
   „Uff!“, sagte dieser, als er einen der beiden Apatschen als Winnetou, den Sohn des Häuptlings der Apatschen, erkannte. Uff! war ein Ausdruck des Erstaunens. „Winnetou!“ Der Kiowa war sichtlich aufgeregt. „Winnetou, was treibst du denn hier draußen, auf der Prärie? Ein kleiner Junge wie du sollte doch zu Hause im Zelt sitzen und das Stricken üben!“
  Winnetou verzog keine Miene. Es war sozusagen ein Brauch unter den Indianern, das die Feinde sich beleidigten und heruntermachten. Wer schwieg, zeigte stolz und wurde hoch angesehen.
  „Uff! Du willst nicht antworten? Nun denn, es ist deine Entscheidung. Du wirst dich uns ergeben, da wir in der Überzahl sind und du unser Feind bist. Wir werden dich gefangen nehmen und damit deinen Vater erpressen, damit er uns endlich unser rechtmäßig eigenes Land wiedergibt!“
  Der Häuptling, auch Tangua genannt, rief mit einem Wink der Hand drei Kiowas herbei und ließ Winnetou und Martin fesseln. Die ganze Zeit über kam kein Laut über Winnetous Lippen, und er ließ die Schultern gerade. Bei Martin ebenso, doch als die Kiowas ihn fesseln wollten, siegte die Wut in ihm und er spuckte dem Kiowa, der ihn fesselte, ins Gesicht. Das wurde ihm mit einem Faustschlag belohnt, dass er ohnmächtig zu  Boden sank. Der Kiowa wischte sich nur den Speichel aus dem Gesicht und fesselte Martin mit ausdruckslosem Gesicht auf sein Pferd.
   Nur kurz war ein Ausdruck des Erschreckens über Winnetous Gesicht gegangen,             nämlich als die Faust des Kiowa seinen geliebten Freund traf. Dann beherrschte er sich wieder. Genau aus diesem Grund wehrte sich Winnetou hier nicht. Er wusste, wenn er groß ist, wird sich ihm keiner entgegenstellen können, doch nun war er noch ein Kind, und daran konnte er nichts ändern. 
  Tangua rief etwas in seiner Sprache, die nur die Kiowas verstanden, und die Truppe setzte sich in Bewegung. Der Kiowa, der sie gefesselt hatte, hatte auch die Pferde an die anderen gebunden, damit sie nicht entfliehen konnten, und stellte sich mit zwei anderen Kiowas um Winnetou und Martin herum auf. Dann ritten sie los, durch endlose Prärie, und Winnetou verlor die Orientierung. Vater wird mich niemals finden, dachte er, obwohl ein Indianer so etwas nicht denken durfte. Ich habe die Orientierung verloren und Vater denkt, ich bin auf einem Erkundungsritt. Selbst wenn Tangua mich gegen etwas eintauschen möchte, bin ich  verloren. Die Kiowas lügen und betrügen bei jedem Schritt, den sie tun. Und was taten sie auf unserem Grund und Boden? Martin und ich waren sich sicher, die Grenze nicht überschritten zu haben.
  Am späten Abend erreichten sie das Dorf der Kiowas. Von außen konnte man es nicht erkennen, selbst wenn es helllichter Tag war. Denn das Dorf lag versteckt in einem Wald. Man musste durch den dichten Wald gehen und sich an einen bestimmten Weg halten. Nur dann erreichte man unverletzt das Lager. In dieser Hinsicht war das Dorf der Kiowas besser geschützt als das der Apatschen. Nur, wenn jemand entfloh, konnte man ihn nicht gut aufhalten, weil rundherum nur dichter Wald ist und nur ein einziger Weg hindurch führte. Der Verteidigungsring bestand aus Metall, was für die Indianer zwar ungewöhnlich war, doch es wunderte niemanden. Jeder wusste, dass die Kiowas wöchentlich Tauschhandel mit den Bleichgesichtern machten. Dabei ist vor allem das Feuerwasser, dem die Apatschen entsagten, wonach die Kiowas allerdings fast süchtig waren. Aber auch der Handel mit Metallwerkzeugen und Lebensmitteln war bei den Kiowas wichtig. So war auch ihr Dorf besser verteidigt, aber auch ihre Krieger. Sie waren fast unbesiegbar, aber nur fast. Die Apatschen waren ihnen mit ihrer Ausdauer und ihrem Mut dennoch überlegen.
  Die Kiowas und die zwei Apatschenkinder wurden durch das offene Tor geführt. Späher der Kiowas hatte die Truppe schon frühzeitig bemerkt und alles für ihre Ankunft bereitgemacht. Dass sich zwei Gefangene bei der Gruppe befanden, das hatte der Späher nicht mitbekommen. Deshalb war die Freude der Kiowas noch größer, als sie es erfuhren. Winnetou und der ohnmächtige Martin wurden ohne viele Worte in ein kleines leeres Zelt gesteckt und bewacht. Dann wurde es still. Winnetou wusste, dass Tangua nun vor seinem Volk eine Rede halten und ihnen die Geschichte erzählen musste. Er würde nur lügen und seinem Volk weismachen, dass die Zwei sie hereingelegt hatten und einen Angriff auf sie planten. Am liebsten wäre Winnetou dort gewesen und hätte sich verteidigt. Doch das war alles weit weg, und Winnetou konnte sich um Martin kümmern. Seine Hände waren zwar noch gebunden, doch Winnetou war auch mit den Füßen sehr geschickt. Er öffnete die Fesseln Martins mit den Zehen und seine schließlich mit den Zähnen,  denn die Kiowas hatten den Fehler begangen, ihnen die Hände vorne zu binden. Doch auch Winnetou hatte einen Fehler begangen: und zwar den, keine Waffe mitzunehmen.
  Winnetou untersuchte seinen Freund und stellte fest, dass dieser noch eine Weile bewegungslos bleiben, aber bald aufwachen würde. Er steckte seinen Kopf aus der Tür und sofort richteten sich zwei Musketen auf sein Haupt und wurden mit lautem Klicken entsichert.
  „Du, der Sohn von Intschu tschuna, unserem größten Feind, soll im Zelt bleiben, bis unser Häuptling Tangua, der Mächtigste aller Mächtigen, dich und deinen Freund holt“, knurrte der eine Kiowa. Er war ein muskelbepackter Kerl mit langen schwarzen Haaren.
  Winnetou zog sich ohne ein Wort seinen Kopf aus der Öffnung zurück. Dann sann er darüber nach, dass er noch nie jemanden ohne lange schwarze Haare gesehen hatte, und fragte sich, woher er wusste, dass es noch andere Haarfarben gab.
  Da regte sich etwas neben ihm. Winnetou erschrak nicht und wendete  langsam den Kopf in die Richtung des Geräusches. Natürlich hatte er schon gewusst, dass das Grummeln bedeutete, dass Martin aufgewacht war.
  „Oh, Winnetou, was ist passiert? Mein Kopf schmerzt so... sind wir wieder zu Hause?“
  „Ich muss dich enttäuschen. Wir sind im Lager unserer Feinde, den Kiowas. Du hast einem der ihren ins Gesicht gespuckt, erinnerst du dich, mein Freund?“
  Martin brummte. „Ich erinnert mich leider äußerst lebhaft. Eine riesige Hand ist auf mein Haupt zugeflogen und dann kann ich mich an gar nichts mehr erinnern. Ist etwas passiert?“
  „Nichts Besonderes. Wir ritten nur so lange durch die Prärie, bis sogar ich, der Häuptlingssohn die Orientierung verlor.“
  „Nun, Winnetou, du sagst, wir sind im Lager der Kiowas. Hat der Häuptling auch gesagt, was er mit uns vorhat? Will er uns martern lassen?“
  „Tangua, der Häuptling der Kiowas, hat mir gegenüber erwähnt, dass er uns bei meinem Vater gegen etwas eintauschen möchte.“
  „Was? Eintauschen? Ich lasse mich nicht eintauschen, denn ich bin keine Ware. Lieber lasse ich mich martern.“
  Winnetou erwiderte nichts und schwieg. Martin schwieg auch. Dann kündete sich von Draußen das Geräusch näher kommender Schritte an und die beiden Apatschen setzten sich gerade hin. Die Zeltplane wurde zurückgezogen und Tangua stand am Eingang. Hinter ihm war es dunkel, doch Winnetou erkannte ihn, denn er hatte nicht nur die besten Ohren, sondern auch die besten Augen.
  „Ihr könnt mitkommen, denn ihr dürft die Nacht nicht so gemütlich hier verbringen, bis dein Vater kommt.“, knurrte er. „Wir haben ihn mit dem Indianertelefon angerufen.“ Das Indianertelefon war ein großes Feuer, dessen Rauch man mithilfe unterschiedlich geformter Holzblöcke zu Buchstaben formte. Die Rauchbuchstaben stiegen einige Kilometer in die Höhe, bevor sie verflogen. Die Höhe reichte, damit Intschu tschuna die Buchstaben sehen konnte.
  Tangua sagte etwas in der fremden Sprache zu den Wachen und die zwei machten Anstalten, Winnetou und Martin aus dem Zelt zu holen. „Uff!“, rief einer von ihnen, als er sah, dass die Zwei keine Fesseln mehr hatten. Tangua wurde böse und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
  „Sprich, Winnetou!“, schrie er. „Wer ist da? Wer hat euch die Fesseln losgemacht? Rede endlich!“
  Winnetou schwieg. Tangua würde es ihm sowieso nicht glauben, wenn er ihm sagte, dass er, ein zwölfjähriger Apatsche, die Fesseln geöffnet hatte, die einer seiner besten Krieger gebunden hatte.
  „Argh! Du weigerst dich, zu sprechen! Nun, nach der heutigen Nacht wirst du es bereuen, auch wenn du es nicht zugeben wirst.“
  Die beiden Wachen nahmen Winnetou und Martin zwischen sich und packten sie an den Armen, so fest, dass die beiden glaubten, sie können den Arm nie mehr bewegen. Als sie erkannten, wohin ihre Reise führte, wurde ihnen mulmig zumute.
  Vor ihnen in der Dunkelheit tauchten die Marterpfähle auf.

Als die Kiowas weg waren und sich schlafen legten, standen Winnetou und Martin noch immer am Marterpfahl. Sie standen schon eine Weile dort. Ewig ist der Häuptling der Kiowas vor ihnen herumgelaufen, hat sie beleidigt und ihnen ins Gesicht gespuckt. Er hat über sie gelästert und sie verspottet, sie getreten und angeschrieen. Doch so wie es sich für einen Indianer gehörte, brachten die beiden Gefangenen weder einen Laut des Schmerzes, der Angst oder der Wut über die Lippen.
  Doch jetzt, wo alles dunkel war, schauten die beiden sich mitleidig an, in ihren Blicken eine stumme Entschuldigung. Jeder gab sich selbst die Schuld, niemals würde einer den anderen Anklagen. Und nie würden sie laut über etwas reden, wenn drei Wachen keine fünf Fuß von ihnen entfernt saßen und aufmerksam die Ohren spitzten.
  Immer, wenn einer der Wachen sich zu ihnen umdrehte, blickten Winnetou und Martin ihm nur böse ins Gesicht. Doch die Wachen grinsten nur mit ihren schlechten Zähnen und stießen den anderen mit dem Ellenbogen an. Dann lachten sie die Gefangenen gemeinsam aus.
  Plötzlich spürte Winnetou, dass seine Fesseln durchgeschnitten wurden. Sein Retter fing die Fesseln auf, bevor sie den Boden berührten, damit kein Geräusch entstand, das die Befreiung verraten würde. Dann spürte Winnetou eine Berührung am Arm und wusste, dass er frei war. Aber er blieb noch stehen, als wäre er gefesselt, denn niemals würde er ohne Martin gehen. Und es war selbstverständlich, dass er, Winnetou, zuerst gerettet wurde. Schließlich war er der Sohn des Häuptlings der Apatschen.
  Lange wartete Winnetou. Dann wandte er den Kopf zu Martin. Der sah die Bewegung und schaute ihn ebenfalls an. Winnetou nickte, als Zeichen, dass er frei war. Martin nickte zurück. Sie waren frei. Lautlos wie Federn verschwanden die Indianerkinder und schlugen sich seitlich in die Büsche. Dort trafen sie ihren Befreier.
  Es war der Vater Winnetous.
  Winnetou war überrascht, aber er sagte nichts. Sie mussten schnell verschwinden, bevor die Bewacher der Gefangenen wieder nach hinten schauten und bemerkten, dass niemand mehr da war.
  Es gab nicht viele Büsche im Lager der Kiowas, und deshalb mussten die drei Flüchtlinge schon bald außerhalb des Schutzes der Büsche laufen. Zum Glück war es dunkel, denn jetzt gab es nur noch zu hoffen, dass alle Feinde tief und fest schliefen. Auch die Torwächter waren eingeschlafen und lehnten an den Torbögen. Oder war beim Einschlafen vielleicht mit einer Keule nachgeholfen worden? Winnetou sah Martin grinsen und musste auch anfangen zu lächeln.
  Sie gingen durch das Tor und fanden „schneller Blitz“ und „schlauer Fuchs“ schon da, angebunden an einen Baum. Intschu tschuna lachte leise, als er die überraschten und glücklichen Kinder sah. Dabei hat er die Pferde hauptsächlich geholt, da seiner Meinung nach niemand ein Pferd besitzen sollte, das einem anderen Stamm abstammte. Sein eigenes Pferd war ein prachtvolles schwarzes Tier, dessen Namen niemand aussprechen konnte, nur der Häuptling selbst, und deshalb hörte das Pferd auch auf niemanden anderen als ihn.
  Dann stiegen die drei auf und ritten mit lautem Kriegsgeheul davon, Intschu tschuna kannte den Weg auswendig. Ob sie jetzt jemand hörte, war egal. Die Kiowas müssten erst einmal aufwachen, die Wachen mussten dem Anführer sagen, was passiert war. Dann mussten die Pferde gesattelt und die Krieger ausgerüstet werden. Intschu tschuna vermutete, dass die Feinde ihnen sowieso nicht folgen würden, der Abstand war schon zu groß. Und falls sie ihnen doch folgen sollten: Am Lager der Apatschen warteten die Krieger schon auf den ersten großen Krieg seit einigen Jahren.


©StefanieRoss